Die häufigsten Vorstellungsgründe zur klinisch-psychologischen Diagnostik und Beratung betreffen die Unsicherheiten eines Kindes im Unterrichtsfach Deutsch und/oder Mathematik, die mit einer mangelnden Konzentration und Aufmerksamkeit einher gehen können, begleitet von Schulunlust und langen Hausaufgabensituationen, die dem Kind, als auch den betreuenden Personen (Eltern, Hort etc.) sehr viel an Ausdauer und Geduld abverlangen. Trotz umfassender Unterstützung und erhöhtem Lernaufwand, stellt sich nicht der gewünschte Lernerfolg ein.
Im Rahmen des umfassenden Anamnesegespräches und diagnostischen Prozesses kann geklärt werden, inwieweit eine Lese-Rechtschreibstörung und/oder Rechenstörung vorliegt. Eine erfolgreiche Behandlung setzt immer einen individuellen, auf das Kind abgestimmten Förderplan voraus. Dieser orientiert sich am Alter des Kindes, an der Schulstufe, an der Art und Intensität des Störungsbildes.
Nach erfolgter klinisch-psychologischer Diagnostik wird ein spezielles Therapieprogramm zusammengestellt, dass in Einzelförderstunden (60 Minuten) und auch zu Hause durchgeführt werden kann und soll.

Lese- und Rechtschreibstörung – Legasthenie

„Das Hauptmerkmal der Lese- und Rechtschreibstörung (ICD 10, F 81.0) ist eine umschriebene und bedeutsame Beeinträchtigung in der Entwicklung der Lesefertigkeiten, die nicht allein durch das Entwicklungsalter, Visusprobleme oder unangemessene Beschulung erklärbar ist. Das Leseverständnis, die Fähigkeit, gelesene Worte wieder zu erkennen, vorzulesen und Leistungen, für welche Lesefähigkeit nötig ist, können sämtlich betroffen sein. Bei umschriebenen Lesestörungen sind Rechtschreibstörungen häufig und persistieren oft bis in die Adoleszenz, auch wenn einige Fortschritte im Lesen gemacht wurden. Umschriebenen Entwicklungsstörungen des Lesens gehen häufig in der Vorgeschichte Entwicklungsstörungen des Sprechens oder der Sprache voraus…In den frühen Stadien des Erlernens einer alphabetischen Schrift kann es Schwierigkeiten geben, das Alphabet aufzusagen, die Buchstaben korrekt zu benennen, einfache Wortreime zu bilden und bei der Analyse oder der Kategorisierung von Lauten (trotz normaler Hörschärfe). Später können dann Fehler beim Vorlesen auftreten … Ebenso zeigen sich Defizite im Leseverständnis.“

Eine Lese- Rechtschreibstörung entsteht durch charakteristische Fertigkeitsmängel, die sich auf der neurobiologischen Ebene (genetische Disposition) in Beeinträchtigungen der akustischen und visuellen Wahrnehmung äußern. Aus den neurobiologischen Beeinträchtigungen im visuellen und akustischen Bereich ergeben sich neuropsychologische Schwierigkeiten:

  • Visuelle Verarbeitung und Wahrnehmung: Diese ist im Vergleich zur auditiven Wahrnehmung weniger untersucht, Studien zeigen aber, dass ca. 5-10 % der betroffenen Kinder mit einer LRS Defizite in diesem Bereich aufweisen. Es zeigen sich Auffälligkeiten im Bereich von Wörtern, visuelle Zeichen und Buchstabeninformationen sind davon nicht betroffen. Generell finden sich keine Hinweise auf eine gestörte visuelle Wahrnehmung, daher ist ein Training nicht sinnvoll. „In der Diagnostik der Lese- und / oder Rechtschreibstörung ist es bei Verdacht auf eine okuläre Störung oder bei Vorliegen einer okulären Begleitsymptomatik erforderlich, okuläre Ursachen auszuschließen.“ (DGKJP, 2015, S. 10)
  • Defizite in der phonologischen Bewusstheit: Fähigkeit fehlt, die Lautstruktur von Wörtern zu analysieren und sie im Gedächtnis zu speichern.
  • Defizite in der phonologischen Informationsverarbeitung: Rekodieren ist schwer möglich: Fähigkeit, Buchstabenfolgen in Lautfolgen zu übersetzen und umgekehrt; innere Repräsentation der Buchstabenfolgen im Gedächtnis ist unzureichend: Zuordnung von Buchstaben zu Lauten gelingt nicht.
    • Defizite in der seriellen Benennungsgeschwindigkeit: Unzureichende Speicherung von Schriftwörtern („im orthografischen Lexikon“), was zu einem fehlerhaften und verlangsamten Lesen sowie zahlreichen Rechtschreibfehlern führt. (vgl. Schulte-Körne, 2002,2011, zit.n. Gasteiger-Klicpera, Klicpera, S. 58-59).

Therapieprogramm – Lupino

Die individuelle Therapie soll das Kind zum gezielten Einsatz von Strategien befähigen, mit denen es die Lese-Rechtschreibstörung erfolgreich kompensieren kann. Das Therapiekonzept orientiert sich dabei am Entwicklungsprozess des Schriftspracherwerbs, d.h. es wird zunächst die lautorientierte/phonemische Strategie vermittelt. Wenn diese sicher beherrscht wird, wird zur orthographisch/morphemischen Strategie (Aneignung von Regeln) übergegangen. Die Vermittlung der lautorientierten Strategie erfolgt mit Hilfe der Methode der rhythmischen Silbengliederung.
Wie es Reuter Liehr (2008) beschreibt, wird strategiegeleitetes Lernen am ehesten erreicht, wenn das Kind handlungsorientiert und vielfältig über eigene Erfahrungen die Prinzipien der Schriftsprache so weit wie möglich selbst entdecken kann, die Richtigkeit wiederholt erfährt, sie reflektiert und verbalisieren lernt, zunehmend verinnerlicht und schließlich automatisiert (S. 38). Weiters beschreibt Reuter Liehr, dass im Behandlungskonzept vier elementare Bestandteile miteinander verknüpft werden:

„Erfolge von Anfang an…“ In der Übungssituation soll die bisherige Überforderungssituation eines Kindes beendet werden. Dabei wird die „Nullfehlergrenze“ berücksichtigt, d.h., dass im Vorfeld eine genaue diagnostische Einschätzung des Lese- und Rechtschreibentwicklungsstandes erfolgen muss. „Ich kann‘s und was ich noch nicht kann, lerne ich.“

„Vom Leichten zum Schweren.“: Das lautorientierte Herangehen ist für das legasthene Kind am leichtesten, da es verständlich wirkt. In der Schule wird das Kind allerdings im Deutsch Unterricht alsbald mit Abweichungen von der Lauttreue konfrontiert, der Lernprozess kann sich nicht seinen Möglichkeiten entsprechend entwickeln, es entsteht ein Teufelskreis, den es ohne strukturelle Hilfe nicht mehr zu durchbrechen vermag. Es benötigt einen roten Faden“, um das Systematische der deutschen Orthographie verstehen zu lernen. Das Konzept von Reuter-Liehr nimmt darauf Rücksicht und baut dementsprechend langsam, mit stetigem Anstieg des Schwierigkeitsgrades unter sprachanalytischen Gesichtspunkten darauf auf. (S. 42)

„Vom Häufigen zum Seltenen“: Wird zu Beginn der Förderung mit lautgetreuem bzw. mitsprechbaren Wortmaterial begonnen, so wird sowohl das „Leichte“, als auch das „Häufige“ berücksichtigt. Es kann im weiteren Trainingsaufbau vorangegangenen werden, nämlich vom sicheren Leichten und Häufigen zum Seltenen. Erfolge zeichnen sich nicht nur in der Trainingssituation ab, sondern können auch in der Schule zu positiven Rückmeldungen führen.

„Alles dient der Strategievermittlung“: Im Übungsverlauf werden die verschiedenen Strategien konsequent eingesetzt, vom Kind erworben, gefestigt und schaffen somit Sicherheit. Es wird dadurch befähigt und motiviert diese eigenständig einzusetzen und auch neue Strategien zu erlernen. (S.43)

Rechenstörung – Dyskalkulie

Die Rechenstörung (ICD 10, F81.2) beinhaltet eine umschriebene Beeinträchtigung von Rechenfertigkeiten, die nicht allein durch eine allgemeine Intelligenzminderung oder eine eindeutig unangemessene Beschulung erklärbar ist. D.h. für die Diagnose einer Teilleistungsstörung wird gefordert, dass die Minderleistung bedeutsam unter dem liegen muss, was aufgrund der Intelligenz und des Alters zu erwarten wäre. (Rechenleistung wird in Beziehung zum IQ gesetzt).

  • Ebenso dürfen die Defizite nicht im Sehen, Hören, oder als Folge irgendeiner neurologischen, psychiatrischen oder anderen Krankheit erworben worden sein.
  • Das Defizit betrifft die Beherrschung grundlegender Rechenfertigkeiten wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division, weniger die höheren mathematischen Fertigkeiten, die für Algebra, Trigonometrie, Geometrie und Differential- sowie Integralrechnung benötigt werden.
  • Die Rechenschwierigkeiten, die auftreten sind verschiedenartig. Es kommen vor: Ein Unvermögen, die bestimmten Rechenoperationen zugrunde liegenden Konzepte zu verstehen; ein Mangel im Verständnis mathematischer Ausdrücke oder Zeichen; ein Nichtwiedererkennen numerischer Symbole; eine Schwierigkeit, unsere Standardrechenschritte auszuführen; eine Schwierigkeit im Verständnis, welche Zahlen für das in Betracht kommende arithmetische Problem relevant sind; Schwierigkeiten, Zahlen in die richtige Reihenfolge zu bringen oder Dezimalstellen oder Symbole während des Rechenvorganges einzusetzen; mangelnder räumlicher Aufbau von Berechnungen und eine Unfähigkeit, das Einmaleins befriedigend zu lernen.